Die Suche nach mir selbst hat mich nun schon zum dritten Mal 8.000 Kilometer von meinem Heimatort weggeführt. Ich wäre diesen Weg nicht schon zum dritten Mal gegangen, wenn ich nicht fühlen würde, dass ich meinem Ich hier ein ganzes Stück näher komme.

Ich bin nie als Touristin hier hingekommen und habe mich auch nie als eine solche gefühlt. Ich war lediglich die „Neue“ an einem Ort. Es ist eine besondere Erfahrung an einen fremden Ort zu kommen und direkt mit vielen neuen Menschen konfrontiert zu werden. Und nicht mit Menschen, die auch nur eine Zeit lang an diesem Ort sind, so wie die Strandnachbarn in Palma, sondern Menschen, die hier hingehören, die diesen Ort hier ausmachen.

Plötzlich ist man nicht mehr in seiner eigenen festen Rolle, die manchmal ein komfortables Bett und manchmal ein Gefängnis sein kann. Plötzlich ist man von Menschen umgeben, die noch keine Erwartungen an einen haben, keine gemeinsamen Erinnerungen, keine Vorurteile. Aber auch noch keine Sympathie oder Liebe, die sie über das ein oder andere hinweg sehen lässt. Man ist plötzlich ein unbeschriebenes Blatt, eine leere Kinoleinwand, ein ungetragenes Paar Schuhe. Man bekommt die Chance, sich selbst in eine neue Position zu heben, losgelöst von der eigenen Vergangenheit neu anzufangen, jemand ganz neues zu sein. Laufe ich damit nicht aber Gefahr, den Erwartungen der Menschen hier nicht mehr gerecht zu werden, wenn ich mein eigenes Image zu „gut“ für mich setze?

Etwa so ergeht es ja auch Jugendlichen, die in der Schule der Außenseiter waren und auf der Uni plötzlich von Gleichgesinnten akzeptiert, toleriert und involviert werden.

Ich habe also die Chance mich selbst neu zu erfinden. Ich muss nicht mehr das Mädchen sein, das vier Jahre mit dem Typ aus der Gustav-Straße zusammen war oder die, die auf der Party vor drei Jahren mit dem DJ rumgemacht hat. Aber ich bin eben auch nicht das Mädchen, das mit den tollsten Mädels der Stadt befreundet ist oder den besten Job der Umgebung hat. Ich kann hier neu anfangen, neue Erinnerungen schaffen und dadurch, dass ich jetzt etwas älter bin meine Position vielleicht ein bisschen besser steuern. Ich kann den Menschen hier besser zeigen, wer ich sein will, da sie noch kein festes Bild von mir haben.

Aber dadurch werde ich ja kein anderer Mensch, oder? Ich bin immer noch die, die Angst vor Gewittern hat, die ihr Bier als Erste getrunken hat und die manchmal hören muss was sie sagt bevor sie weiß was sie denkt. Ich kann schließlich keine Maske aufsetzen. Ich muss also irgendwie die Balance halten, den Menschen hier zu zeigen, wer ich sein will ohne dabei zu vergessen wer ich bin. Und wer ich bin, bin ich nur durch wer ich war.

Ich bin froh, mir selbst bewiesen zu haben, dass ich auch in einer fremden Umgebung jemand bin, der von anderen Menschen gemocht wird und nicht nur das sichere Polster meiner langen Freundschaften mich im sozialen Leben hält, auch wenn ich mir dieses Polster manchmal wünschte.

Ich bin gerne, wer ich hier bin. Aber auch wenn ich den Ort gefunden habe, der für mich die beste Bühne bietet, wird sich dadurch mein Drehbuch nicht ändern. 

 

 

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