22. Noch 22 bis 22. 22 Tage bis ich 22 werde. 22.

Und heute ist einer dieser Tage. Einer dieser Tage, nach denen du erfahren hast, dass der Typ mit dem du dich über deinen Ex hinweggetröstet hast nächsten Monat heiratet. Und du immer noch alleine bist.

Du überlegst kurz, ob du deinen Ex anrufen sollst, immerhin stand der ja mal auf dich und vielleicht gibt es da ja doch noch irgendeine Chance, immerhin vielleicht auf Sex. Aber dann fällt dir ein, dass das mit dem Sex schon damals nicht besonders gut geklappt hat. Weil ihr 1 von 3 Jahren eh mehr Freunde als Geliebte ward. Und weil er zwar eigentlich ein guter Fang, aber eben nicht der Typ war, der dich völlig verrückt gemacht hat. Falls es den überhaupt gibt.

Der Joghurtbecher auf meinem Schreibtisch sieht schon ein bisschen kuschelig aus. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass ich hier einen Joghurt gegessen habe. Aber auch wenn ich mir manchmal sicher bin, dass Müll rennen und sich in der Wohnung verteilen kann, sieht der Joghurtbecher nicht aus als wenn er von alleine dorthin gekommen wäre. Obwohl sich mit der Zeit sicher Leben darin bilden kann. Oder gebildet hat.

Ich würde sagen, dass ich gar nicht so unordentlich bin, auch wenn meine Freunde da widersprechen würden. Mein Chaos hat jedoch weniger mit Unordnung als mit Antriebslosigkeit zu tun. Und an der bin ich nun wirklich nicht selbst schuld.

Süß!“, sagt mein Berufsschullehrer, wenn jemand Geburtstag hat und sagt, dass er 22 geworden ist. Die meisten in meiner Klasse sind dieses Jahr nämlich auch 22 geworden. Diese Zahl schwebt also schon länger unheilvoll über meinem Kopf.

Süß“ ist jedoch das einzige, was ich diesem Alter nicht abgewinnen kann. 22 ist wie ich finde ein völlig unnötiges Alter. 3 werden war cool wegen dem Kindergarten. 6 werden war cool wegen der Schule. 15 werden war cool, weil man Roller fahren durfte. 16 werden hieß Bier trinken und zu meiner Zeit ( allein das ich diese Phrase benutzen kann zeigt doch, dass ich wirklich ALT werde) auch legal rauchen. Und 18 war eben die goldene 18. Selbst der 21 konnte ich während meines Amerikaurlaubes etwas abgewinnen.

67 werden ist vielleicht auch noch mal cool, falls es in 45 Jahren noch so etwas wie das „Renteneintrittsalter“ gibt. Obwohl ich so alt eigentlich nie werden möchte. Aber 22…

22 wird nicht einfach, denn 21 sein ist es auch nicht. Und ich erwarte erst mal keine Besserung.

Das sieht Mama natürlich ganz anders. Hach, wie einfach es doch war 21 zu sein. Man hatte keine Kinder um die man sich kümmern muss, man hatte keine Verpflichtungen. Und gerade in der heutigen Zeit. Wenn sie damals das verdient hätte, was wir heute in der Ausbildung verdienen. Und sie konnte keinen Neuwagen fahren. Und selbst heute kann sie sich lange nicht so viel leisten wie ich mir. Weil sie Kinder hat. Und die sind teuer. Auch wenn die schon 19 und 21 sind. Oder eben gerade deshalb.

Mama ist das beste Beispiel einer modernen Mutter. Sie zahlt 200 Euro im Monat dafür, dass sie mich los ist und ich nicht mehr bei ihr wohne. So sind moderne Mamas. Die sind froh, wenn ihre Kinder endlich groß sind, damit sie ihr „eigenes Leben mal wieder leben können“.

Also wohne ich nicht mehr bei Mama. Und auch nicht bei Vater. Sondern alleine. Auch ohne Freund. Sonst wäre mir ja die Hochzeit meiner Ablenkung egal.

Der Handywecker dudelt mein ehemaliges Lieblingslied, das ich jetzt so oft gehört habe, dass ich es eigentlich nicht mehr leiden kann. Aber weil in meinem Leben gerade alles durcheinander ist, halte ich wenigstens daran fest. An Coldplay. An Yellow. Und an meinem Handywecker.

Der Wecker sagt, dass ich eigentlich schon wieder zu spät aufstehe. Ich lasse ihn extra ab 6:03 bimmeln, damit ich es eventuell schaffe um 06:30 aufzustehen. Früher konnte ich beim ersten Klingeln aus dem Bett springen. Diese schlechte Aufsteh-Gewohnheit hab ich mir damals bei meinem Ex abgeguckt. Man behält ja immer etwas vom anderen.

06:42. Wenn man die 5 Minuten abzieht, die mein Wecker extra vorgeht, weil ich immer noch hoffe mich morgens doch selbst noch verarschen zu können, bin ich also schon 7 Minuten zu lang im Bett. In Mathe war ich schon immer ein Genie.

Weil ich meinen Job hasse, überlege ich auch diesen Morgen wieder auf der Arbeit anzurufen und mich krank zu melden. Überlege ich mir jeden Morgen, habe ich jedoch noch nie gemacht, auch nicht, wenn ich wirklich krank bin. Dann gehe ich zur Arbeit bis mich jemand nach Hause schickt. Dann wissen alle ich bin kein Blaumacher und denken sich nichts böses, falls ich doch mal blau mache.

22 Tage. Und danach noch genau 3 Monate bis ich arbeitslos bin. Eine Entscheidung, die ich selbst getroffen und nicht bereut habe, aber die mir viel Angst macht. Und wegen der meine Mutter mich noch in den Wahnsinn treibt.

Als würde es nicht reichen, dass ich sowieso keine Ahnung habe, was ich aus meinem Leben machen soll, muss sie mich auch noch ständig danach fragen und dabei dieses Gesicht mit der künstlichen Sorgenfalte aufsetzen. Als moderne Mama von heute möchte sie nämlich, dass ihre Kinder endlich groß werden und sie ihr Geld für sich ausgeben kann. Wenn die Tochter dann nach der Ausbildung mit Studiums-Plänen kommt, kann das so eine moderne Mama schon mal künstlich besorgt gucken lassen in der Hoffnung, dass die Tochter doch den sicheren Job in der Versicherung annimmt. Wird doch ganz gut bezahlt. In der heutigen Zeit sollte man doch froh sein, wenn man einen Arbeitsplatz hat. Und so schlimm kann das ja alles nicht sein.

Hallo Frau Schiffer, hier ist Sarah Baumann. Ich möchte mich für heute krank melden. Also ich muss. Weil ich bin krank. Hust, hust.“ „Kein Problem, Frau Baumann. Werden Sie schnell wieder gesund.“

Kein Problem? Na klasse. Nicht mal auf der Arbeit braucht man mich also.

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